Neue Fragen und neue Erkenntnisse bei der Maturitäts­arbeit

«Durch den Kontakt mit Experten und Expertinnen habe ich gelernt, nach Hilfe zu suchen, und gemerkt, dass diese einem oft bereitwillig angeboten wird – es braucht nur das Selbstbewusstsein, danach zu fragen.»

«Ich habe zum fünften Mal neu gelernt, wie man Quellen richtig zitiert.»

«Dass Instant-Nudeln besser schmecken, wenn man sie um 3 Uhr morgens isst, war mir neu.»

«Ich musste einsehen, dass ich unter Druck besser arbeite.»

«Eine wichtige Erkenntnis für mich war, dass man bei physikalischen Versuchsaufbauten und Experimenten vorausschauend und organisiert arbeiten muss.»

«Ich musste merken, dass es wenig Sinn ergibt, all meine Versionen mit «Final», «Fertig» und «Fertig Fertig» zu betiteln.

«Die Maturitätsarbeit hat mir geholfen, meine sozialen Hemmungen abzubauen.»

«Excel wird anscheinend auch mit vertieften Kenntnissen nicht sympathischer.»

«Ich habe die Grenzen meiner Belastbarkeit erfahren.»

So lauten einige der Einsichten des ersten Maturjahrgangs nach Abgabe der Maturitätsarbeit. Doch was ist überhaupt das erklärte Ziel dieser Arbeit? «Die Maturitätsarbeit fördert die Selbstständigkeit und die Aneignung wissenschaftspropädeutischen Arbeitens.» So umreisst fast schon lapidar das Maturitätsanerkennungsreglement den Inhalt bzw. das Grobziel. Doch genau diese Selbstständigkeit führt dazu, dass die gemachten Erfahrungen, die gewonnen Erkenntnisse, aber auch die erlernten Fähigkeiten so breit ausfallen. Die Themenwahl dieses ersten Maturjahrgangs widerspiegelt die Vielfältigkeit der Schülerinnen und Schüler und ihre Interessen und Fähigkeiten. Die folgenden Beispiele bieten nur einen kleinen Einblick in die spannenden Themenbereiche des vergangenen Jahres.

Ronja Schwyzer befasste sich in ihrer Arbeit mit dem Nudging, also mit der Strategie, seine Mitmenschen subtil in erwünschte Handlungswege zu lenken. Sie versuchte durch Gamification und Visualisierungen das Recyclingverhalten der Schülerschaft der KZI zu beeinflussen. Sie kam zur Erkenntnis, dass solche Strategien tatsächlich effektiv sein können, dass aber z. B. auch der Standort einer Entsorgungsstelle einen wesentlichen Einfluss ausübt.

Beeinflusst Sprache unser Denken? Kleo Perndreca beschäftigte sich mit sprachlichen Strukturen und wie die diese die Art und Weise unseres Denkens beeinflussen. In einem Experiment konnte er herausfinden, dass sich Deutschsprachige und Italienischsprachige die Details von Bildern anders merkten. Er kam zum Schluss, dass dies auch in den unterschiedlichen grammatikalischen und syntaktischen Strukturen der beiden Sprachen zu begründen sei.

Dass eine Migräne für die Betroffenen nicht nur ein gesundheitliches, sondern auch ein sozioökonomisches Problem darstellt, zeigte Elina Roa in ihrer Arbeit auf. Sie konnte darlegen, wie die Schmerzen zu Einschränkungen im Privatleben und im Berufsalltag führen können. Im Gespräch mit Betroffenen und Neurologen zeigte sich, wie wenig die Bevölkerung auf dieses Leiden sensibilisiert ist.

Trainiert das Saxophon die eigene Lunge? Ramon Frei ging der Frage nach, wie man mit Blasinstrumenten die Lungen trainieren kann und wie sich die Lungenleistung mit der einer Kontrollgruppe vergleichen lässt. Es zeigte sich, dass die Luft zwar mit mehr Kraft und grösserer Geschwindigkeit ausgestossen wird, dass dies aber z. B. keinen Einfluss auf das Lungenvolumen hat.

Einem schwierigen und tabuisierten Thema näherte sich Larissa Troxler in ihrer Arbeit an. Sie beschäftigte sich mit häuslicher Gewalt gegen Frauen. Für sie zeigte sich klar, wie wichtig es ist, über dieses Thema zu sprechen und in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür zu schärfen. Sie erhoffte sich mit ihrer Arbeit, Betroffenen Mut zu machen, Hilfe zu suchen, und dadurch eine Welt anzustreben, in der jede Frau sicher, respektiert und frei von Gewalt leben kann.

Maja Lüthi recherchierte nach Gründen für die tiefen Quoten von Frauen in MINT-Bereichen und untersuchte, wie man den weiblichen Nachwuchs fördern könnte. Wichtig bei diesen Fragen sei die Überwindung von Stereotypen sowie die gleichzeitige Präsenz von weiblichen Vorbildern, die jungen Mädchen die Berührungsängste für gewisse Fachbereiche nehmen. Mithilfe eines selbst durchgeführten Workshops versuchte sie konkret an der Kanti Zimmerberg das Interesse für die hauseigenen MINT-Fächer sowie spätere MINT-Karrierewege zu wecken. Maja Lüthis herausragende Arbeit wurde von der KZI-Jury zusammen mit Alissia Peyers und Jona Jüngers Arbeit prämiert und für die kantonale Ausstellung ausgezeichneter Maturitätsarbeiten an der Universität Zürich nominiert.

Die Maturitätsarbeit ist die grosse selbstständige Arbeit am Gymnasium und bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, selber interessengeleitet eine Fragestellung zu entwickeln – und genau diese Chance haben unsere ersten Maturanden und Maturandinnen genutzt. Ein Jahr lang begleitete sie dieses Projekt; von der anfänglichen Themen- und Betreuungswahl, der Präzisierung der Fragestellung und der passenden Methode zur Durchführung der Untersuchung bzw. Gestaltung des Produkts hin zur Auswertung der Ergebnisse und dem Verfassen der schriftlichen Arbeit. Auch wenn die Abgabe der Arbeit einen ersten Höhepunkt darstellte, war der krönende Abschluss und auch die Würdigung dessen die mündliche Präsentation der Arbeit vor versammeltem Publikum. Familie, Lehrpersonen, Mitschülerinnen und Mitschüler hörten gespannt zu, wie man über langes Grübeln, Irrwege, harte Arbeit und einige Geistesblitze zu spannenden Einsichten gelangte. Und genau dort wurde der nächste Maturjahrgang für ihre eigene zukünftige Arbeit inspiriert – zu neuen Fragen und neuen Erkenntnissen.