Ein Einblick in die Schul­entwicklung: Pädagogische Informatik

Seit einigen Jahren schreitet die Digitalisierung in allen Lebensbereichen mit grossen Schritten voran, auch im Bildungswesen. Martin Pfister, Französisch- und Informatiklehrer sowie Präsident der Kommission für pädagogische Informatik an der KZI, äussert sich in einem Interview zu BYOD («Bring Your Own Device»), Chatbots und dem grossen digitalen Potential, das es noch auszuschöpfen gibt.

Welche Aufgaben erfüllt die Kommission für pädagogische Informatik und welche Rolle spielen Sie dabei?

Die Kommission für pädagogische Informatik ist eine der vom Gesamtkonvent eingesetzten Kommissionen. Sie beschäftigt sich mit dem Einsatz von informatischen Systemen rund um das Lernen und Lehren an der KZI. Zu unseren Aufträgen gehört, dem Konvent Rahmenbedingungen für den Unterricht vorzuschlagen, damit dieser mit BYOD Spielraum für Innovation bietet, ohne mit bewährten Lern- und Lehrtraditionen radikal zu brechen. Ich bin überzeugt, dass Entwicklungen nur nachhaltig sind, wenn sich Lehrpersonen wie auch Schülerinnen und Schüler in angemessenem Tempo auf neue Formen und Methoden einlassen können, sich dabei nicht gegenseitig überfordern und ihr Tun immer wieder reflektieren. Als Kommission nehmen wir Anregungen und Warnungen des Kollegiums auf, werten Erfahrungen anderer Schulen in diesem Bereich aus und ziehen daraus vorausschauend Schlüsse für die Gestaltung an der KZI. Zudem beraten wir die Schulleitung als Fachgremium in Fragen bezüglich Schullizenzen, Weisungen und Infrastruktur. Mit Gérald Huber, Thomas Ingold und Michael Liebich sind wir zu viert, wobei Frau Siegrist als Schulleiterin, Daniel Stucki als Administrator und Polat Inan als Techniker permanenten Einsitz haben. Meine Rolle ist jene des Präsidenten.

Was hat Sie dazu bewegt, der Kommission für pädagogische Informatik beizutreten?

Mit dem Wechsel von der KZU Bülach zur KZI wurde ich vom Gründungsrektor Urs Bamert bereits bei der Bewerbung mit diesem Aufgabenfeld betraut. Denn in meiner alten Schule habe ich mit Kolleginnen und Kollegen als Pilotversuch zwei Jahrgänge mit BYOD bis zur Matura gebracht und weiss unterdessen, welches die neuralgischen Punkte sind, die ein BYOD-System zum Einsturz bringen können. Ausserdem habe ich mich von meinem zweiten Lehrfach Latein verabschiedet und beschlossen, das Lehrdiplom in Informatik zu erlangen, um an der KZI Französisch und Informatik zu unterrichten. Daher schien die Mitarbeit in dieser Kommission naheliegend.

Wie beurteilen Sie die Einführung von BYOD an der KZI in den letzten drei Jahren?

Das hängt stark von der Erwartungshaltung ab. Wer damit die Vorstellung verbindet, dass Lernen ganz neu und nur noch per Mausklick und multimedialem Konsum funktioniert, der wird – hoffentlich – enttäuscht sein. Lernen ist und bleibt Knochenarbeit, und der Mensch ein analoges Wesen. BYOD ist zunächst nichts anderes als ein Medienwechsel unseres Schreibens und Lesens von Papier auf digitale Formate. Es ist eine Entwicklung weg von der Papierlastigkeit, der Bundordner, Mäppchen, Hefte und Atlanten in Papierform hin zu einer kompakteren, viel effizienteren und dauerhafteren Lösung, also zur Arbeit an einem Gerät, das den dokumentierten Unterricht aller Fächer enthält. Das klingt bescheiden und trivial, ist es aber nicht. Die Umstellung gelingt nur, wenn sie von Lehrenden, Lernenden und Eltern grossmehrheitlich getragen wird. Doch mir scheint, dass dies an der KZI gut gelingt. Auch der Entscheid für den Einsatz der Geräte an Prüfungen, inklusive Maturprüfungen mit Exam.net, einer digitalen Prüfungsplattform, stellte sich nach einem ersten Durchgang als richtig heraus.

Durchaus gibt es aber auch einige Sorgenfelder: Die Ablenkungsgefahr stellt uns Lehrpersonen vor neue Herausforderungen. Es braucht für uns Lehrpersonen sehr viel mehr Energie, die Schülerinnen und Schüler zu zwingen, dem Unterricht ab und zu im Tablet-Modus oder in hybrider Form zu folgen und die Geräte auch zwischendurch wegzulegen (lacht). Was ich mich persönlich frage, unabhängig vom Standpunkt der Kommission, ist, ob es ethisch richtig ist, die Klassen in Microsoft 365 zu unterrichten. Aber diese Software wird nun einmal vom Kanton finanziert, weshalb wir aus pragmatischen Gründen mitziehen. Doch es ist mir klar, dass wir so generationenweise junge Menschen diesem Monopol-Konzern in die Arme treiben. Wenn Sie keinen Zugang über die Schule mehr haben, werden Sie dann willkommene Kunden sein, aber eben auch zahlende Kunden. Das bedrückt mich immer wieder. Wir können aber als Informatik-Lehrpersonen auch auf die Vorzüge der Open-Source-Software-Welt wie z. B. Linux hinweisen, damit Sie das ausprobieren können und eben nicht nur abhängig von Microsoft werden.

Wie Sie vorhin angesprochen haben, fand im vergangenen Jahr ein Pilotversuch mit Exam.net, einer digitalen Prüfungsplattform, statt. Welche Herausforderungen traten in Verbindung mit dem digitalen Prüfen auf und welche Vorteile bietet eine digitale Prüfung?

Wie Sie bestimmt aus eigener Erfahrung wissen, gibt es Infrastruktur wie Verwaltungssoftware, Datenbanken oder das Internet, die nicht von der Schule administriert werden und in deren Zusammenhang manchmal Dinge passieren, die im Unterricht zwar verkraftbar sind, aber im entscheidenden Moment einer Maturaprüfung ziemlich fatal wären, zum Beispiel, wenn das Netz zusammenbrechen würde. Also hat man im Rahmen der Fokuswoche «Repetitorium Maturitätsprüfungen» und im Pilotprojekt mit einer Klasse ausführlich getestet. Wie immer ist auch hier vorausschauendes Planen eine gute Idee, sodass man z. B. Schulgeräte bereitstellt, wenn einmal ein Gerät eines Schülers bzw. einer Schülerin nicht funktioniert. Es kann genügen, dass jemand ein zu aggressives Antivirus-Programm installiert hat und schon funktioniert die Prüfungsumgebung nicht. Es ist generell ein Tätigkeitsfeld, in dem Vorsicht und Vorausschauen hilft, und wenn man das unterlässt, entsteht schneller ein schulweites Chaos, als man meint.

Wie schätzen Sie das Potenzial von Chatbots im Bildungswesen ein, und wird dieses Potenzial derzeit schon genutzt?

Das Potential von Chatbots wird noch gar nicht genutzt. Sie werden von den Schülerinnen, Schülern und Lehrpersonen selbstverständlich sofort ausprobiert und auch bis zu einem gewissen Grad angewendet, das Potential ist aber erst dann wirklich sinnvoll im Unterricht umzusetzen, wenn der Umgang geübt wird. Es ist ein neues, sagen wir mal, Vehikel in einer ganz anderen Dimension als das, was ihre Computeranwendungen bisher bedeutet haben. Dazu eine kleine Anekdote: Wir haben in verschiedenen Fächern der ersten Maturitätsprüfungen Antworten von Schülerinnen und Schülern erhalten, die sich offenkundig mit ChatGPT vorbereitet haben und waren erstaunt, wie unreflektiert teilweise damit umgegangen wurde. Wir erklären uns das damit, dass die Schülerinnen und Schüler sich mit ChatGPT vorbereitet haben, ohne wirklich zu wissen, wie man den Prompt (d. h. Anweisung/Frage an einen Chatbot) produktiv formuliert und wie man quervergleicht, ob das eine mögliche, sinnvolle Antwort ist oder ob ChatGPT hier nicht einfach nur fantasiert. Deshalb wird es im Herbstsemester auch eine Weiterbildung für das gesamte Kollegium geben, bei der uns die Weiterbildungskommission die vielfältigen Ebenen des Einsatzes von KI im Unterricht und rund um das Lernen und Lehren näherbringen möchte. Das ist aber ein jahrelanger Prozess, der insbesondere deshalb schwierig ist, weil die Entwicklung auf jeden Fall noch schneller wird, als dass wir uns ihr professionell annähern könnten. Wir Lehrpersonen müssen uns auf ein jahrelanges, permanentes Lernen einstellen, da bin ich mir sicher.

Wie weit ist die Digitalisierung im schulischen Umfeld ausserhalb des Unterrichts bereits fortgeschritten, und sehen Sie auch dort noch weiteres Potenzial?

Ich habe 2004 angefangen hauptsächlich als Lehrer in Mittelschulen zu unterrichten und wenn ich den heutigen Stand vergleiche mit den ersten 15 Jahren, in denen ich unterrichtet habe, dann haben die digitalen Mittel meinen Berufsalltag revolutioniert; er ist nicht mehr wiederzuerkennen. Ich vermisse die Zeit nicht, in der ich zusammengerechnet vier Stunden pro Woche im Kopierzimmer verbrachte, Dossiers herstellte und das alle zwei Wochen wieder aufs Neue, weil sie bei den Schülerinnen und Schülern verloren gingen. Also ist vieles in meiner physischen Arbeit unglaublich viel schneller und effizienter geworden. Die ständige Verfügbarkeit, die Unmöglichkeit, Dinge zu verlieren, auf Schüler- wie auch auf Lehrerseite, die Spontanität im Unterricht auf meine gesamte Bibliothek an Unterrichtsmaterialien zugreifen zu können, hat vollständig neue Dimensionen erreicht. Gleichzeitig bin ich manchmal etwas enttäuscht, dass gewisse Formulare immer noch auf Papier ausgefüllt werden müssen. Also beziehe ich mich auf meine Arbeit im Fachunterricht und nicht auf höhere Verwaltungsebenen, denn da ist noch sehr viel Luft nach oben.

Gibt es derzeit neue Projekte der Kommission, die in Planung sind?

Das Thema «Künstliche Intelligenz» wird jetzt zum ersten Mal in einer Lehrpersonenweiterbildung thematisiert, um die Lehrpersonen so weit auszubilden, dass sie sich befähigt fühlen, mit ChatGPT zu experimentieren; das ist das grosse Bedürfnis. Wichtig ist dabei, dass das in einem sicheren Umfeld stattfinden kann, das zum Beispiel auch verhindert, dass bei der Nutzung durch die Schülerinnen und Schüler wahllos Daten abgesaugt werden. Es gibt Plattformen, die professionell in unsere Lernumgebung OneNote einzubetten sind, die Ihnen dann Tools zur Verfügung stellen, mithilfe derer Sie zum Beispiel lernen können, selbst verfasste Buchrezensionen durch ChatGPT bewerten zu lassen, aber dann auch kritisch zu hinterfragen, auf welcher Grundlage diese Bewertung erstellt wurde und ob diese brauchbar ist. Die Kommission arbeitet momentan daran, ein solches sicheres Umfeld umzusetzen.

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