Slay ist cringe, jetzt heisst es lit!

Auf mein «So lässig!» schüttelte meine Grossmutter vor 40 Jahren nur den Kopf und meinte recht ungehalten und beinahe mitleidig: «Lässig? Was isch dänn das für es Wort? – Mir händ amel tschent gseit», wobei sie mir den Begriff mit einem genüsslichen Knalllaut einladend feilbot. Meine Schwester und ich schüttelten nun unsererseits diskret den Kopf. Tschent brachte unser Blut nicht in Wallung. Lässig schon eher.

Erstaunt war ich, als ich das Wort lässig in der Mittelschule bei Homer wiederfand, als Kritik gemeint. In der Übersetzung von Voss rügt die getarnte Göttin Athene die Königstochter Nausikaa, sie solle endlich ihre Wäsche waschen gehen: «Liebes Kind, was bist du mir doch ein lässiges Mädchen! Deine kostbaren Kleider, wie alles im Wuste herumliegt! Und die Hochzeit steht dir bevor!» Nausikaas Hochzeit kümmert die Göttin indes herzlich wenig. Vielmehr ist sie um den gestrandeten Odysseus besorgt, den Nausikaa am Fluss finden und dem sie wieder auf die Beine helfen soll. Lässig heisst also nachlässig, liederlich.

Ähnlich verkehrt wird das Wort cool genutzt, welches lässig ungefähr in den 90er-Jahren ablöste: Ist ‘cool’ wirklich, wie man sich fühlt, wenn einen etwas begeistert? Oder ist es eben gerade wichtig, sich von seiner Begeisterung nicht zu offensichtlich hinreissen zu lassen, sondern Contenance zu bewahren? Seine Emotion also zu überspielen? Im Gegenzug dazu leitet sich tschent anscheinend von italienisch gentile (‘nobel’, ‘edel’) oder englisch gentle (ursprünglich mit derselben Bedeutung) ab. Vielleicht also wirklich das passendere Wort, um etwas Positives auszudrücken?

«Isch lässig piinlich?», frage ich die 16-jährige Julia Müller von der Kanti Küsnacht, meine Jugendsprache-Kontaktfrau in diesen Sommerferien. Sie zeigt sich nachsichtig, bewahrt Fassung und meint: «Nei, isch nöd piinlich, aber mer dänkt ‹Hej, wo chunsch dänn du jetz her?›»

Ja, wo komme ich denn her? Aus den 80ern eben. Meine Grossmutter kam aus den späten 30ern. Es gibt sprachlich wenig Vergänglicheres als die Jugendsprache. Ausdrücke, die jeder Generation dazu dienen, sich von den Alten abzugrenzen und sich eine sprachliche Identität zu schaffen, lassen uns dann schnell als Ewiggestrige dastehen, ohne dass wir es merken. Da stellt sich die Frage: Soll man sich an die neuen Trends anpassen?

Als in den späten 90er-Jahren das Wort mega aufkam, rümpfte ich die Nase und blieb meinem lässig treu. Ja, ich fand es mega peinlich, wenn meine Altersgenossen sich das neue Modewort zu eigen machten und dabei mit einem mega lässig ihre Herkunft verrieten. Das Wort geil, das etwa gleichzeitig Schule machte, verwende ich nur im hermetisch abgeriegelten Kreise, wenn es ganz einfach kein besseres Wort gibt. Tatsächlich kein schlechtes Wort: althochdeutsch und ursprünglich gar nicht so sexualisiert wie sein späterer Ruf. Es hiess einfach ‚aufschäumend‘, ‚übermütig‘, ‚ausgelassen‘, ‚lustig‘.

Wenn ich nun meinerseits quasi als Grossmutter den Jungen von heute zuhöre, verstehe ich manchmal kein Wort oder muss schmunzeln, wenn Teenager einander Alte nennen oder junge Mädels sich gegenseitig Bros zuwerfen. Ausdrücke aus dem Althochdeutschen oder Altgriechischen sind von einer Schwemme englischer und ein paar slavischen Ausdrücken abgelöst worden.

Im Gym – nicht dem Gymnasium, sondern dem Gymnastikraum – kommt man überhaupt nur noch mit Englisch klar. Es gibt keine Kniebeugen mehr, sondern nur noch squats, und der Ausfallschritt – lunge – wird schweizerisch ausgesprochen gerne mal zum ‚Lunch‘. Wenn man noch etwas Gewicht drauflädt, werden diese Ausfallschritte dann zu weight lunches, also einem allzu schwer aufliegenden Mittagessen. Trotzdem hüte ich mich, mein lässig feilzubieten, sondern kontere allenfalls mit einem anbiedernden Hej, chill’s mal – seriously? Julia hingegen lässt ein erstauntes Bombaclat! platzen – wohl wissend, dass sie diesen jamaikanischen Begriff damit stark verharmlosend entfremdet. Er ist wahrhaftig nicht salonfähig, tönt aber schon *****.

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