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In zehn Minuten von delulu? zu drippy!
«In zehn Minuten von delulu? zu drippy!»
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Ein Reiseführer durch die Welt der Jugendsprache
Deutsch, Englisch, Französisch, Latein, Italienisch, Spanisch… die Liste der Sprachen, die man an der Kantonsschule lernt, scheint endlos. Doch in den Gängen, zwischen den Schulstunden und beim Mittagessen vernimmt man manchmal eine ganz andere Sprache. Sie scheint vertraut und doch exotisch, und ganz gleich wie angestrengt man hinhört: verstehen tut man kaum etwas. Sie ist das Resultat unserer immerzu vernetzteren Welt, wo Videogames, Social Media und der Gymialltag aufeinandertreffen. Gemeint ist natürlich die Jugendsprache. Wobei Schülerinnen und Schüler sie niemals als solche bezeichnen würden, das wäre zu cringe. Für sie ist es ganz normales Züridütsch, das jeder in ihrem kleinen Ökosystem versteht.
Als aussenstehende Person kann das aber alles sehr delulu wirken. Schliesslich ändert sich die Jugendsprache schneller als man «stabil» sagen kann. Was gestern noch mega cool war, klingt neuerdings ziemlich bodelos. Genau das ist auch das Ziel der Jugendsprache: sich von den älteren Generationen abzugrenzen, indem sich die Sprache immerzu neu erfindet. Nur Eingeweihten scheinen Ausdrücke wie «easy schwierig» total einleuchtend. Da kann man sich als Aussenseiter schnell mal überwältigt fühlen. Doch keine Panik: Mit diesem Reiseführer navigierst du mühelos durch die verworrene, verwirrende, durchaus verrückte Welt der Jugendsprache an der KZI.
1. DIE VORBEREITUNG: DAS RICHTIGE VOKABULAR LERNEN
Wie bei jeder Fremdsprache muss man mit den Grundbausteinen beginnen. Diesen Ausdrücken begegnet man in den Gängen der KZI ganz bestimmt. Sie sind im Moment die heissgeliebtesten Wörter der Schülerinnen und Schüler.
Banger (N.)
Wenn man zu einem Lied am liebsten Headbangen und laut gröhlen würde, handelt es sich um einen Banger, also um ein besonders gutes Lied. In der neueren Verwendung kann sich «ein Banger» auf Dinge, die nichts mit Musik zu tun haben, beziehen.
«Kennsch ‹Griechischer Wein›? So en Banger seg ich dir.»
cringe (Adj.)
Ist dir etwas sehr Peinliches passiert? Dann spürst du vielleicht, wie du vor Verlegenheit schauderst. Im Englischen nennt man das «to cringe». Jugendliche haben dieses Wort rezykliert und in ein Adjektiv umfunktioniert. Oft benutzen sie «cringe» auch im Zusammenhang mit Fremdscham.
«Min Vater het mim Fründ grad so en cringe Dadjoke verzellt.»
Drip (N.) / drippy (Adj.)
Das einzige, was beim Wort «Drip» tropft, sind die Komplimente, die regelrecht auf einen runterregnen. Denn «Drip« bezeichnet ein stylisches Auftreten oder Aussehen, besonders auf Klamotten bezogen. Die betroffene Person läuft sozusagen vor Style über, «tropft» also über.
«Gsesch s Outfit vom Jürgen? Er het so Drip.»
easy (Part.)
«Easy» beschreibt nicht wie im Englischen etwas Einfaches, sondern wird im Gegenteil oft genutzt, um zu unterstreichen, wie schwierig etwas ist. Jugendliche benutzen das Wort nämlich, um eine Tatsache zu verstärken, in etwa so, wie ältere Generationen «mega» benutzen würden.
«Die prüefig isch no easy schwierig gsi.»
Goat / 🐐 (N.)
Wer als «Goat» bezeichnet wird, darf sich geehrt fühlen. Denn das steht für «Greatest of All Time» und kommt ursprünglich aus der Gaming- und Sportwelt. Jugendliche benutzen diese Bezeichnung, um jemandem ein Kompliment zu machen. Diese Person gilt in einem Bereich als besonders talentiert.
«Hesch de Ufsatz vo de Berta glese? Sie isch so en goat.»
sich inezieh (V.)
Wir alle haben unsere Laster – sei es ein Verlangen nach Redbull oder eine Liebe für romantische Komödien. Wenn wir diese konsumieren, spricht man von «sich inezieh». Dabei muss das konsumierte Produkt nicht unbedingt ungesund sein, tendiert aber dazu.
«Ich gang mir jetzt hei en Film go inezieh.»
Plus- und Minusaura (Ausdr.)
Plus- und Minusaura sind noch viel mehr als nur zwei Wörter. Für Jugendliche sind sie ein ganzes Gedankenkonstrukt. Der Level an Aura sagt etwas über den Coolness-Faktor einer Person aus. Tut jemand etwas Peinliches, wird oft mit «Minusaura» kommentiert. Hierbei kann eine Zahl angehängt werden, um zu betonen, wie peinlich genau die Aktion war. Dasselbe gilt auch umgekehrt für «Plusaura».
Person 1: «Hesch gseh, de Gustav het Socke under de Sandale ah.»
Person 2: «Fett Minusaura.»
stabil (Adj.)
«Stabil» bezeichnet genau das: eine stabile, solide Leistung. Dabei kann man mit der Länge des Vokals ausdrücken, wie beeindruckt man ist. Während ein knappes «stabil» eine eher unbeeindruckte Antwort ausdrückt, ist ein lang ausgezogenes «stabiiiiil» eine wahre Vergötterung.
Person A: «Was hesch a de Chemieprüefig gha?»
Person B: «5.2»
Person A: «Stabiiiiiiil»
Talahon (N.)
Einen Talahon zu definieren ist etwa so, wie den Wind zu zeichnen: nahezu unmöglich. Es handelt sich oft um einen jungen Mann, der auf Dominanz und Statussymbole setzt. So spuckt er zum Beispiel auf den Boden oder läuft mit gefälschten Luxusmarken herum.
«Ey gsesch de Brudi mit Kenzo und Gucci ich seg der: Talahon.»
en Trümmlige / e Trümmligi (N.)
Zugegeben: dieses Wort wird im breiteren Umfeld nicht benutzt, doch an der KZI bekommt man es trotzdem manchmal zu hören. Wenn jemand «trümmlig» ist, macht besagte Person etwas Unlogisches oder Dummes.
Person A: «D Sandra het scho wieder ihri Schue im Chüelschrank vergesse.»
Person B: «So e Trümmligi!»
Aus einer Handvoll Ton wurde ein Hohlkörper geformt und zu einem menschlichen oder tierischen Antlitz weiterentwickelt.
2. JUGENDSPRACHE IN FREIER WILDBAHN ERKENNEN UND VERSTEHEN
So weit, so gut. Du kennst nun die wichtigsten Ausdrücke und Formulierungen. Wie aber hört sich das Ganze in einem Gespräch an? Es folgt ein Dialog, der etwa so in den Gängen der KZI gehört werden könnte.
*nach der Mathematikprüfung*
A: «Bro, die Prüefig isch no easy schwierig gsi!»
A: «Kumpel, fandest du die Prüfung auch so schwierig?»
B: «Ja ich seg mir sind cooked. Das isch so bodelos gloffe das isch ja gottlos gsi.»
B: «Ja, ich glaube, wir sind verloren. Das war so abgrundtief schlimm das war katastophal.»
A: «OMG und ich han ja scho gwüsst, dass das en freestyle wird, ha mir gester ja no die neust Staffle vo GNTM müsse inezieh. Aber so bodelos? Das wird safe en Zweier, seg ich dir.»
A: «Oh mein Gott und ich wusste ja, dass ich die Prüfung auf gut Glück schreiben musste, ich habe gestern ja die neuste Staffel von «Germany’s Next Topmodel» geschaut. Aber dass sie so schlecht läuft, hätte ich nicht erwartet. Ich sags dir, das wird sicherlich eine Ungenügende.»
A: «Hey für was de Sideye? Bisch eigentlich lost bro?»
A: «Wieso schaust du mich so skeptisch an? Ist alles gut?»
B: «Kolleg de einzig Trümlig bisch du. Sorry aber GNTM? Das isch so cringe! Bisch eigentlich delulu? Das git fett Minusaura.»
B: «Freundchen, die einzige verwirrte Person bist du. Weshalb schaust du GNTM? Das ist so peinlich! Bist du von allen guten Geistern verlassen? Das ist so uncool.»
A: «Cap! GNTM isch weisch wie baba bro, das isch de gröst Banger! D Heidi het Drip, da chasch mir nüt sege.»
A: «Das stimmt gar nicht! GNTM ist so cool, das ist die beste Sendung! Heidi hat Style, da kannst du mir nichts anderes erzählen.»
B: «De einzig Smash isch de Kameramah; de het Rizz seg ich dir. Ich segs der, de tuet mewe, zu hundert. Sin Swag isch untoppable.»
B: «Der einzig Gutaussehende ist der Kameramann, er hat Charisma. Er arbeitet zu hundert Prozent an seinen Kieferknochen. Sein Style ist unübertrumpfbar.»
A: «De NPC? Fix nöd. De isch so en fette Scam.»
A: «Dieser unwichtige Typ? Sicherlich nicht. Er ist es nicht wert.»
B: « Digga du hesch so kei ahnig. D Heidi isch so pick me. Sie denkt sie isch OP oder so wtf. Und ihres Gsicht isch so sus alles fake seg ich dir.»
B: «Freundchen, du hast keine Ahnung. Heidi ist so eine Schleimerin. Sie denkt, sie ist die Wichtigste oder so, was soll das? Und ihr Gesicht ist so bizarr, da ist doch alles künstlich.»
A: «Schwör? Bro ja denn ghost ich sie. Isch eh nöd Mathinote wert.»
A: «Wirklich? In diesem Fall vergess ich sie. Meine Mathematiknote ist es sowieso nicht wert.»
Mit Unterglasurfarbe wurden Akzente gesetzt. Die Glasur schützt und veredelt die Oberfläche.
3. DEN AUFBAU DER SPRACHE DURCHSCHAUEN
Nachdem man sich im ungewohnten Terrain der Jugendsprache zurechtgefunden hat, beginnt man, einige Auffälligkeiten zu beobachten. Zum Beispiel, dass die allermeisten Wörter aus dem Englischen stammen. Dies könnte ein Beweis dafür sein, wie sprachtalentiert und lerneifrig die heutigen Jugendlichen sind. Doch viel wahrscheinlicher ist es, dass sie schlicht und einfach zu viel Zeit auf Social Media verbringen. Denn durch die Globalisierung können Jugendliche heute Inhalte von überall auf der Welt schauen – diese sind überwiegend auf Englisch. Die modernsten Wörter werden ihnen sozusagen auf einem silbernen Tablett serviert. Ganz einfallslos sind die Jugendlichen dann aber doch nicht. Häufig entwickeln sie Neuschöpfungen, die bekannten Wörtern eine völlig andere Bedeutung geben. Altvertraute Ausdrücke bekommen auf einmal überraschende Definitionen, die für Jugendliche umso relevanter und interessanter sind.
Aber was interessiert die Jugendlichen? Das geschulte Ohr kann vernehmen, dass die meisten Jugendwörter sich auf genau etwas beziehen: mich. Mein Auftreten, meine Leistungen, meine Vorlieben. Die Jugendlichen sprechen am liebsten über sich selbst. Entweder “ich” oder “der andere”, wenn sie ihre Mitmenschen kritisieren. Ganz übelnehmen kann man den Jugendlichen dieses Verhalten nicht, schliesslich vereinfacht es das Lernen einer Fremdsprache. Wenn dich das nächste Mal ein Jugendlicher mit einer unverständlichen Floskel anspricht, keine Panik. Du kannst davon ausgehen, dass er sich entweder über eine Note aufregt oder die Kleidung deines Nachbarn kritisiert.